Von der Idee zum Serienmodell
29.08.2022, 14:24 Uhr
FH Münster und Velo de Ville entwickeln Lastenräder
Der Fahrradhersteller Velo de Ville (Altenberge) entwickelt zusammen mit der Fachhochschule Münster Lastenräder. Eines davon geht jetzt in Serie.
Zufriedenes Projektteam auf dem Steinfurter Campus. Von links: Jan Eichmann, Leif Sternberg, Prof. Dr. Hilmar Apmann, Velo de Ville-Ingenieur Christof Bödiger, Prof. Dr. Jochen Korn, Maximilian Ober, Jacqueline Cyriax und Jannis Kuschel
(Quelle: FH Münster/Frederik Tebbe)
Der Fahrradhersteller Velo de Ville aus Altenberge hat auf der Eurobike-Messe kürzlich sein erstes elektrisches Cargobike namens „FR8“ vorgestellt. Entstanden ist dies in Zusammenarbeit mit der FH Münster, denn dem Modell liegen gleich mehrere Projektarbeiten aus dem Fachbereich Maschinenbau und dem Fachbereich Design der Münster School of Design (MSD) zugrunde.
Werksstudent wird Produktdesigner
„Viele Innenstädte werden mit der Zeit immer autofreier. Das Lastenrad ist ein guter Ersatz fürs Auto“, sagt Minh Pham. Er hat seine Bachelorarbeit in Kooperation mit Velo de Ville geschrieben und darin als Produktdesigner ein Konzept für ein Lastenrad entwickelt, auf das das „FR8“ nun zurückgeht. Um herauszufinden, was überzeugte Radfahrer und Radfahrerinnen an ihrem Fortbewegungsmittel schätzen, hat er in einem partizipativ-gestalterischen Prozess unter anderem Interviews geführt, an ihrem Alltag teilgenommen und dann verschiedene Zielgruppen ausgemacht, die für das Lastenrad infrage kommen – etwa die Großfamilie, umweltbewusste Personen oder Gewerbetreibende. „Wir wollen den Bedürfnissen dieser Gruppen gerecht werden, deshalb haben wir uns unter anderem für ein modulares Prinzip entschieden, bei dem die Nutzerinnen und Nutzer zwischen einer Box mit oder ohne Deckel, einer Sitzbank für die Kinder oder auch einer Ladefläche mit Spanngurten auswählen können“, sagt Pham. Und er sagt „wir“, da er bei Velo de Ville nun auch während seines Masterstudiums als Werkstudent tätig ist und das Lastenrad als Produktdesigner weiterhin betreut.
Integrierter Futterspender beruhigt den Hund
Während Pham seine Bachelorarbeit gestaltete, widmeten sich seine Kommilitonen und Kommilitoninnen im Design Master der MSD der Frage, wie Interaktionsdesign rund ums Lastenrad zu einem verbesserten Fahrerlebnis führen kann. „Die Studierenden haben sich Räder ausgeliehen und sie ausprobiert. Einige von ihnen sind zum ersten Mal damit gefahren“, erklärt Prof. Carolin Schreiber. Sie und Prof. Tina Glückselig haben das Projekt betreut. „Es ging darum, interaktive physische Prototypen herzustellen, mit denen die Studierenden neue Potenziale der Räder entdecken und ihre Ideen ausprobieren konnten.“ Die Studentinnen Joy Moorkamp und Linnea Helms etwa entwickelten Lösungen, die den Transport eines Hundes erleichtern sollten. Mit einem integrierten Futterspender sollte der Hund gleichermaßen abgelenkt und belohnt werden, damit er sich nicht zu sehr auf das Geschehen auf der Straße konzentriert. Farbige LED-Streifen sollten dem Tier auf Distanz Kommandos vermitteln. Ivna Mavrinac machte sich derweil Gedanken zum Shopping mit dem Cargobike und entwickelten die interaktive Tasche „Cargobag“: LEDs zeigen darin an, wie die Einkäufe am sinnvollsten in die Tasche gepackt werden, um das Gleichgewicht auf dem Lastenrad zu gewährleisten. Ihre Ideen stellten Moorkamp, Helms, Mavrinac sowie Yuanghuang Zhao und Jana Zuschlag Velo de Ville bei einer Abschlusspräsentation vor.
Fachbereich Maschinenbau entwickelte zwei Lastenräder
Der Fachbereich Maschinenbau hingegen konzipierte und konstruierte gemeinsam mit Velo de Ville zwei Cargobikes – und zwar von Grund auf. Die zwei Gruppen – jeweils bestehend aus Niklas Hirse, Sören Hemminghaus, Till Voßeberg, Philip Wagner und Mattes Gollata sowie Jacqueline Cyriax, Jan Eichmann, Maximilian Ober, Leif Sternberg und Jannis Kuschel – nahmen sich bestehende Lastenrad-Modelle zum Vorbild und bauten darauf auf. Sie planten die Konstruktion, führten unter anderem Lasten- und Schwachstellenberechnungen durch, kalkulierten den Endpreis aus Materialkosten und Arbeitsaufwand. Bei Velo de Ville in Altenberge fertigten sie die Räder in intensiver Zusammenarbeit mit Ingenieur Christof Bödiger im Laufe des vergangenen Jahres schließlich an. „Es war toll, die Kompetenzen aus dem Studium konkret auf so ein Projekt anzuwenden und komplett eigenverantwortlich daran zu arbeiten“, sagt Voßeberg. „Ich habe die Studierenden bewusst ins kalte Wasser geworfen“, erklärt Prof. Dr. Hilmar Apmann, der das Projekt am Fachbereich betreut hat. „So mussten sie die Herausforderungen selbst erkennen und bewältigen. Der Lerneffekt ist dadurch wesentlich größer.“ Eines der beiden Cargobikes will Apmann nun dem Gemeinsamen Fachschaftsrat auf dem Steinfurter Campus der Hochschule zur Verfügung stellen, das andere nutzt sein Team im Labor für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik.
Apmann war es auch, der gemeinsam mit Stefan Adam, Prokurist in der TAFH Münster GmbH und Koordinator der Initiative „Train – Transfer und Innovation“ im Kreis Steinfurt, den Kontakt zu Velo de Ville hergestellt hat und damit das Gesamtprojekt anstieß. Darüber freut sich auch das Unternehmen: „Wir sind sehr dankbar über die gelungene Zusammenarbeit“, sagt Alain Thiemann, Geschäftsführender Gesellschafter bei Velo de Ville. „Die Studierenden haben kreative Konzepte vorgestellt und daraus entsprechende Anforderungen für das Lastenrad abgeleitet. Viele Ideen, wie Holz als Material für die Transportbox oder die Verwendung von Ankerschienen zur Ladungssicherung haben ihre Umsetzung in den Prototypen gefunden. Gerade die frischen Ideen der Studierenden und die letztendliche Umsetzung im Rahmen eines fahrbaren Prototyps haben unserer Firma viele Erkenntnisse in der Entwicklung gegeben.“