Erfolgsfaktoren für Fachhändler
30.10.2017, 10:16 Uhr
Die Fahrradbranche sortiert sich neu
Eine Unternehmensberatung hat den Fahrradmarkt analysiert. Ihr Rat: Fachhändler sollen sich auf den Kunden fokussieren, ihr Sortiment spezialisieren und den Service ausbauen.
„Die gesamte Fahrradbranche steckt inmitten einer Umbruchphase“, so Dr. Mirko Warschun, Konsumgüter- und Handelsexperte bei der internationalen Managementberatung A.T. Kearney: „Neue Mobilitätskonzepte wie Elektromobilität, globales Wirtschaftswachstum, Online-Shopping und Direktvertrieb wirbeln diese traditionelle Branche durcheinander und fordern die Marktteilnehmer auf, ihre bisherigen Erfolgsmuster zu überdenken und sich in der zurzeit wild wuchernden Marktlandschaft neu zu positionieren.“
Wuchs der globale Marktwert für Fahrräder nach Angaben der Beratung in den vergangenen Jahren weltweit um durchschnittlich 2 %, wird bis 2022 mit einem Zuwachs um 6,2 % gerechnet – für Europa gehen die Experten von einem leicht moderateren Wachstum von 5,5 % aus. Getrieben werde der Aufschwung im Fahrradmarkt auch weiterhin von der zunehmenden Bedeutung umweltschonender und gesundheitsfördernder Mobilität und dem Trend zu Elektrofahrrädern. Bis zu 50 Prozent des prognostizierten Wachstums gehen auf das Konto der Elektrofahrräder.
Von einem globalen Boom im Fahrradmarkt, der die Umsätze sprudeln ließe, könne man trotz des prognostizierten Wachstums aber nicht sprechen, warnt Dr. Wulf Stolle, Partner und Mobilitätsexperte der Unternehmensberatung. „Die weltweit bedeutsamsten E-Bike-Märkte Deutschland und Niederlande zeigen bereits erste Sättigungserscheinungen. Und es findet momentan ein intensiver Wettbewerb zwischen konkurrierenden Vertriebsmodellen statt, bei dem insbesondere sogenannte Direct-to-Consumer-Anbieter wie Canyon außergewöhnliche Erfolge teilweise zu Lasten der traditionellen Anbieter erringen.“
Die Experten sehen in ihrer Analyse einen hoch fragmentierten Markt: Neben Generalisten wie dem Online-Händler Amazon und Multikanalanbietern, traditionellen Fahrradherstellern und -marken wie Trek, Specialized, Cannondale und der Pon Bike Gruppe, die mit Multikanalstrategien experimentieren, agieren auch Baumärkte im untersten Preissegment mit wie auch hochspezialisierte Hersteller und Händler im oberen Preisbereich. Hinzu kommen reine Online-Händler wie Fahrrad.de oder Bike 24 sowie die Direktversender. Dabei sei Online eindeutig auf dem Vormarsch: Hersteller mit mehrkanaligem Vertrieb sowie reine Versender wie Canyon und Rose würden weiterhin überdurchschnittlich wachsen. Besonders im unteren und mittleren Preissegment würden Händler wie Amazon Marktanteile des stationären, etablierten Fahrradhandels übernehmen. D2C-Hersteller sollen von einem hohem Premiumanteil und hohem Markenimage bei geringen Preisen profitieren, unter anderem, weil sie die eingesparte Händlermarge direkt an ihre Kunden weitergeben könnten. Hingegen hätten „klassische“ und primär über den Vertriebsweg des stationären Fahrradhandels positionierte Fahrradhersteller zu kämpfen, wie das überschaubare Wachstum der gut etablierten Marken Specialized oder Trek zeige.
Auf der Handelsseite hat A.T. Kearney hat vier Erfolgsfaktoren identifiziert: Erstens kommt es auf echte Loyalität und Kundenfokus an, um einen Kunden zum Stammkunden zu machen, der auch sein zweites Fahrrad und das Zubehör bei seinem Händler des Vertrauens erwirbt und langfristig seine Fahrräder bei ihm warten lässt. Zweitens gilt es, das Sortiment klarer denn je zu spezifizieren: Anbieter mit breitem Angebot von preiswert bis hochwertig und Citybikes bis Mountainbikes werden es nach Ansicht der Unternehmensberater schwer haben, sich im Wettbewerb abzusetzen, es sei denn sie punkten beim Preis: eine eindeutige Spezialisierung dagegen in wachsenden Segmenten wie Enduro oder Elektrorädern und im hochpreisigen Bereich verschafft einen Wettbewerbsvorteil, zum Beispiel gegenüber neu aufstrebenden und breit aufgestellten Marktteilnehmern wie Amazon. Drittens zähle Service-Exzellenz, hier kann der stationäre Handel punkten, Online-Anbietern rät die Beratung Service-Partnerschaften mit stationären Händlern einzugehen, um den Kunden das gesamte Angebot vom Verkauf bis zur Reparatur aus einer Hand zu bieten. Schließlich ist auch bei den Social-Media-Aktivitäten und einem emotionalen und attraktiven Marktauftritt Exzellenz gefordert, denn mehr und mehr entwickle sich das Fahrrad zum Statussymbol, das das Auto ersetze und mit bestimmten Werten und emotionalen Attributen rund um das Shopping-Erlebnis versehen sein müsse.
Als Erfolgsfaktoren für Hersteller, die ihre Produkte bislang primär über den indirekten Vertriebsweg unabhängiger Händler vertreiben, sieht A.T. Kearney darüber hinaus neben der Schaffung von zugkräftigen Marken und innovativer Produkte (z.B. so genannte E-Performance Bike) insbesondere eine intelligente Multikanalstrategie. Auch wenn der stationäre Handel mit seinen Zusatzdiensten eine Zukunft hat, so wird es unabdingbar für diese Hersteller sein, eine innovative und verzahnte Multikanalstrategie für den Vertrieb seiner Produkte zu entwickeln, die es erlaubt, den wettbewerbsfähigen Angeboten der D2C-Anbieter etwas entgegenzusetzen.
Die Experten von A.T. Kearney warnen davor, die Dynamik im Fahrradmarkt zu unterschätzen. Auch Fusionen und Unternehmenskäufe der jüngsten Zeit wie die Übernahme von Santa Cruz durch Pon Bikes weisen auf einen schärferen Wettbewerb hin, für den relevante Player sich jetzt rüsten müssten. Intelligent verzahnte Multikanal-Anbieter können zwar den Weg weisen, noch ist aber nicht ausgemacht, inwieweit kostenseitig klar besser positionierte, reine Versender ihnen nicht rasch das Wasser abgraben.