Initiative aus Baden-Württemberg
16.11.2018, 09:40 Uhr
Vaude will Bleiberecht für Mitarbeiter mit abgelehntem Asylantrag
Die Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“ setzt sich für ein Bleiberecht ihrer über das Asylsystem eingewanderten Mitarbeiter ein und stellt ein zweistufiges System vor.
Von links: Antje von Dewitz, Brauereichef Gottfried Härle, Autohaus-Inhaber Thomas Osswald, Industriedienstleister Markus Winter
Die Unternehmen, unter ihnen Vaude, haben bei einer Pressekonferenz in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin Vorschläge präsentiert, um über das Asylsystem eingewanderte Migranten mit einem festen Arbeitsplatz eine sichere Aufenthaltsperspektive zu gewähren. Die wichtigsten der Kriterien: Die Migranten müssen sich am Arbeitsplatz bewähren, sichtbaren Integrationswillen zeigen, ihre Identität klären und dürfen nicht straffällig werden. Eine nur rückwirkend gültige Stichtagsregel soll eine Sogwirkung verhindern. Auch die Rückkehr der hier qualifizierten Migranten in ihre Herkunftsländer könne besser unterstützt werden, etwa durch die Auszahlung geleisteter Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung. Diese Form von Entwicklungshilfe ist bereits möglich, aber bürokratisch so komplex, dass es kaum in Anspruch genommen wird.
Vaude sieht darin für alle Seiten große Vorteile: Die Migranten könnten ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, die Sozialsysteme würden entlastet, die Unternehmen könnten ihre Arbeitskräfte fest einplanen und für die Behörden verringere sich der Bearbeitungsaufwand. Die Unternehmen fordern die Bundesregierung auf, die Gesetze dafür zu schaffen. Die Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“, der sich mittlerweile mehr als 120 Unternehmen und drei Verbände aus Baden-Württemberg und Bayern angeschlossen haben, möchte politische Entscheidungen mit ihrer Praxiserfahrung erleichtern. Als Vertreter der Unternehmerinitiative, die eine eigene Webseite eingerichtet hat, reisten Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Ausrüsters Vaude, Gottfried Härle, Geschäftsführer Brauerei Härle, Markus Winter, Geschäftsführer IDS Holding, und Thomas Osswald, Geschäftsführer Autohaus Osswald, nach Berlin. Dort stellten sie ihre Vorschläge der Presse und dem Ministerium für Arbeit und Soziales vor. Die 120 Unternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro und beschäftigen rund 550.000 Mitarbeiter, davon circa 2.050 anerkannte Flüchtlinge, abgelehnte Asylbewerber und solche, über deren Antrag noch nicht entschieden ist.
„Wir möchten unseren Beitrag zur Integration leisten und der sozialen Spaltung in Deutschland entgegenwirken. Integration funktioniert am besten über Arbeit, das zeigen unsere Erfahrungen. Zugleich brauchen wir in vielen Bereichen dringend Arbeitskräfte, um unsere Wirtschaftskraft zu erhalten und weiteres Wachstum zu ermöglichen“, so Antje von Dewitz. Dafür sieht sie einen starken Rückhalt in der Bevölkerung, weil laut einer Umfrage des ZDF-Politbarometers 78% der Befragten sich für ein Bleiberecht von arbeitenden Asylbewerbern ausgesprochen hätten.
Akuter Arbeitskräftemangel und wirtschaftlicher Schaden
„Der Arbeitskräftemangel ist eines der größten Probleme, das Betriebe derzeit haben. Ob Handwerks- oder Dienstleistungsbetriebe, Altenpflege, Gastronomie oder in der Produktion – überall fehlt es an Arbeitskräften. Ohne Menschen mit Migrationshintergrund könnten viele Betriebe und Einrichtungen dicht machen. Wir brauchen diese Menschen dringend, um unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand zu sichern“, so der Brauereichef Härle. Dies gelte nicht nur für Baden-Württemberg und Bayern, sondern auch für andere Bundesländer, wie Thomas Kohl bestätigt, der ein Gebäudereinigungsunternehmen in Sachsen-Anhalt führt und dort eine ähnliche Initiative gründen möchte. Gemeinsam mit Roland Frisch, einem Unternehmer aus Sachsen, kam er nach Berlin um sich mit der Unternehmerinitiative aus Süddeutschland auszutauschen.
Die Unternehmen sind dem politischen Aufruf gefolgt, bereits Asylbewerber schon im laufenden Verfahren zu integrieren. Viele dieser Mitarbeiter sind nun von Abschiebung bedroht. Für die Unternehmen wäre es mit einem großen wirtschaftlichen Schaden verbunden, wenn sie diese Mitarbeiter verlieren. Hinzu komme, dass diese Stellen nur schwer bzw. gar nicht nachbesetzt werden könnten. „Aufgrund des Arbeitskräftemangels verlagern schon jetzt immer mehr Betriebe, ihre Standorte ins Ausland. Wenn wir dieser Entwicklung nicht entgegenwirken, droht ein tiefgreifender volkswirtschaftlicher Schaden“ so Gottfried Härle.
Vorschlag für ein Aufenthaltsrecht
„Eines der größten Probleme ist die Rechtsunsicherheit, durch die alle Beteiligten zum Teil über Jahre im Ungewissen sind, die Mitarbeiter, die Unternehmen, aber auch die Behörden. Dies hat negative, ja lähmende Auswirkungen in jeder Hinsicht: Motivierte Menschen werden gebremst und verunsichert, die Identität wird aus Angst vor Abschiebung nicht preisgegeben, der bürokratische Aufwand ist immens. Das müssen wir dringend ändern – davon werden alle profitieren“, so Antje von Dewitz.
Dafür schlagen die Unternehmen ein zweistufiges Verfahren vor, das auch abgelehnten Asylbewerbern, die sich am Arbeitsplatz bewähren und gut integrieren, eine gesicherte Aufenthaltsperspektive ermöglicht. Konkret heißt das: Migranten mit einem festen Arbeitsplatz erhalten eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu zählt u.a., dass sie mit Ausnahme von Bagatelldelikten nicht straffällig geworden sind und dass sie einen sichtbaren Integrationswillen zeigen, z.B. durch die Teilnahme an Sprachkursen. Im Anschluss daran kann die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis um drei Jahre verlängert werden, wenn einige zusätzliche Kriterien erfüllt sind. So muss der Einwanderer seine Identität durch die Vorlage von Passpapieren klären und eine zertifizierte Weiterbildung/Qualifizierung bspw. durch die IHK oder Handwerkskammer nachweisen. Obligatorisch ist auch die Vorlage eines Sprachzertifikats der Stufe A 2. Als weiteres Kriterium schlagen die Unternehmen die verpflichtende Teilnahme an einem Wertekurs auf Basis des Grundgesetzes vor.
Auch bei der Ausgestaltung des neuen Einwanderungsgesetzes fordern die Unternehmen niedrigere Kriterien. So sollen nicht nur Fachkräfte mit formeller Qualifikation, sondern auch angelernte Arbeitskräfte berücksichtigt werden. „Wir brauchen auch gesetzliche Rahmenbedingungen für Berufsbilder, die dringend in der Wirtschaft benötigt werden, wie LKW-Fahrer, Staplerfahrer, Reinigungskräfte, Arbeiter in der Fertigung oder Pflegekräfte“, so Markus Winter. Die Unternehmen wollen ein Vorurteil ausräumen, dem sie immer wieder begegnen: „Die Geflüchteten werden nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Es gilt: Gleicher Lohn für alle. So liegt die Bezahlung für angelernte Kräfte in unserer Manufaktur 40% über dem Mindestlohn, das gilt selbstverständlich auch für die geflüchteten Mitarbeiter“, erklärt von Dewitz.
Sie erklärt: „Integration ist kein Spaziergang. Als Unternehmen sind wir nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Integrationsdienstleister. So kümmern wir uns auch um die Sprachprobleme und Behördengänge unserer geflüchteten Mitarbeiter. Aber es ist schön zu erleben, wie im Unternehmen ein tolles Miteinander entstanden ist – das gibt mir die Kraft hierfür zu kämpfen".