Wegen Betrugsverdachts 10.03.2021, 10:36 Uhr

Regierung stoppt Auszahlung der Corona-Hilfen

Das Bundeswirtschaftsministerium hat Abschlagszahlungen von mehreren Corona-Hilfsprogrammen vorerst gestoppt. Betrüger sollen sich mit falschen Identitäten Millionen erschlichen haben.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lässt die Corona-Hilfen einfrieren.
(Quelle: Shutterstock/photocosmos1)
„Es besteht in einigen Fällen der Verdacht, dass unrechtmäßig staatliche Hilfsgelder bei den Corona-Hilfen erschlichen wurden“, bestätigte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums nach einem Artikel des Online-Magazins „Business Insider“, dem eine versteckte Meldung auf der Website der Regierung aufgefallen war. Daher werden die Abschlagszahlungen derzeit einer Prüfung unterzogen und werden kurzfristig unterbrochen. Sie sollen in Kürze wieder zur Verfügung stehen.
Die Zahlungen wurden bereits am 5. März gestoppt. Es geht um Überweisungen für die November- und Dezemberhilfe sowie die Überbrückungshilfen I bis III. Erstere sind Umsatzentschädigungen für zwangsweise geschlossene Unternehmen, letztere Zuschüsse zu den Fixkosten. Viele Hilfen können nur von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern oder Rechtsanwälten beantragt werden. Die Höhe des Schadens ist noch unklar. Die Sprecherin ergänzte, unmittelbar nach Kenntnis von Unregelmäßigkeiten seien die zuständigen Stellen und strafrechtlichen Ermittlungsbehörden informiert worden. „Diese haben bereits Ermittlungen aufgenommen.“ Die Unbekannten täuschten sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch Landesbehörden.
Wie das Online-Magazin „Business Insider“ berichtete, hätten sich demnach Unbekannte mit falschen Identitäten als „prüfende Dritte“ – also etwa Steuerberater – beim Wirtschaftsministerium registriert, um Anträge über Corona-Hilfen für echte Unternehmen stellen zu können. Das Geld sei jedoch nicht dorthin geflossen, sondern auf Konten der Betrüger. Es sind nur wenige Sätze, die das Bundeswirtschaftsministerium fast schon verschämt am späten Freitagnachmittag auf einer Unterseite seiner Homepage versteckt hatte: „Verdacht auf Betrugsversuche bei Corona-Hilfen“, heißt es da. Und weiter: „Die zuständigen Stellen haben bereits Ermittlungen aufgenommen. Schade, dass hier versucht wird, die Not unserer Unternehmen der Corona-Krise auszunutzen und sich die von vielen dringend benötigte staatliche Hilfe zu ergaunern.“
Wie hoch der Schaden durch die Betrügereien ist, ist noch unklar, könnte aber weit in die Millionen gehen, heißt es. Offenbar fiel die Masche bis vorige Woche weder dem Bund noch den Ländern auf, die die Anträge eigentlich regulär prüfen sollen. Als der Betrug im Wirtschaftsministerium vorigen Donnerstag auffiel, schaltete das Haus von Peter Altmaier (CDU) noch am Freitag nicht nur die Ermittlungsbehörden ein, sondern legte auch die Corona-Hilfen auf Eis. Das heißt: Aktuell gibt es für kein Unternehmen, das November- und Dezemberhilfen sowie Überbrückungshilfen beantragt hat, die oft so dringend benötigten Abschlagszahlungen vom Bund. Vom Restaurant über Hotels bis zum Einzelhändler – alle notleidenden Firmen sind demnach betroffen. Die Sprecherin erklärte, dass die Abschlagszahlungen „kurzfristig angehalten“ worden seien und sie „in Kürze“ wieder zur Verfügung stünden. „Die Bearbeitung und Auszahlung der Überbrückungshilfe II sowie der November- und Dezemberhilfen im regulären Fachverfahren durch die Bewilligungsstellen der Länder findet weiterhin statt“, so die Sprecherin weiter.
Der Mittelstandsverband BVMW forderte die Wiederaufnahme der Zahlungen. „Die Unternehmen warten seit Wochen auf zustehende Hilfen, viele sind inzwischen auf der Strecke geblieben. Es kann nicht sein, dass die Unternehmen noch länger hingehalten werden", erklärte BVMW-Chefvolkswirt Hans-Jürgen Völz. Aufgrund von Einzelfällen dürfe es keinen Generalverdacht gegen den gesamten Mittelstand geben. Die Verdachtsfälle müssten schnellstens aufgearbeitet und die Zahlungen wieder aufgenommen werden. „Man habe von Anfang an bei der Beantragung durch Dritte nur einen ausgewählten Kreis zugelassen, um genau diesen Missbrauch zu verhindern, hieß es immer wieder seitens der zuständigen Behörden“, so Völz.
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer kritisierte, Betrugsfälle wie diese hätten durch eine Bearbeitung und Auszahlung der Hilfen durch das Finanzamt, wie sie die FDP seit vielen Monaten fordere, vermieden werden können: „Denn dort liegen die korrekten Informationen über die realen Firmen – wie etwa die Kontodaten – bereits vor.“ Scharfe Kritik äußerte die Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestags, Katja Hessel (FDP). „Zum Vorgehen dieser Bundesregierung fällt mir nur noch ein: Dieses Land kann weder Pandemie noch Digitalisierung noch Corona-Hilfen“, so Hessel. „Wir sind mittlerweile die Lachnummer Europas.“
Die betroffenen Programme richten sich an Firmen, Selbstständige und Vereine. November- und Dezemberhilfen konnten die beantragen, die seit Anfang November 2020 von Lockdown-Schließungen betroffen waren. Für die Dauer der Schließungen zahlt der Bund über die Länder einen einmaligen Zuschuss von bis zu 75 Prozent des jeweiligen Umsatzes im November beziehungsweise Dezember 2019. Firmen, Selbstständige oder Vereine, die erst ab Mitte Dezember schließen mussten, bekommen dagegen Überbrückungshilfen. Diese orientieren sich an den Fixkosten. Damit die Firmen schneller an ihr Geld kommen, zahlt der Bund seit Wochen Abschläge. Insgesamt flossen dabei mehr als sieben Milliarden Euro. Seit Beginn der Corona-Krise wurden nach Angaben des Ministeriums bereits mehr als 86 Milliarden Euro Staatshilfen für die Wirtschaft bewilligt. Allein für die sogenannte Überbrückungshilfe III, die seit dem 10. Februar beantragt werden kann, wurden demnach Abschlagszahlungen in einer Höhe von mehr als 650,7 Millionen Euro ausgezahlt. Das Bundeswirtschaftsministerium war zuvor in die Kritik geraten, weil die Auszahlung der Corona-Hilfen nur schleppend angelaufen war.


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