„Bike Biz Revolution“-Konferenz
14.07.2022, 13:20 Uhr

Deutschlands Fahrradbranche glaubt nicht ans Fahrradland

Auf der „Bike Biz Revolution“-Konferenz am Vortag der Eurobike stach eine provokante These heraus: Die Branche glaubt nicht an sich selber.
Ingo Kucz stellte auf der „Bike Biz Revolution“-Konferenz der Eurobike seine Umfrage vor.
(Quelle: White Octopus)
Auf der Konferenz ließen sich fast 100 Zuhörer und Zuhörerinnen inspirieren. Die Vorträge beleuchteten Aspekte wie Kundschaft, Nachhaltigkeit oder die Rolle der Fahrradindustrie bei der Verkehrswende. Einer der Experten war der promovierte Zukunftsforscher Dr. Ingo Kucz von der Strategieberatung White Octopus (Berlin). Er stellte die Ergebnisse einer Umfrage vor: Wie sollten sich der Markt und die Branche bis 2042 im Idealfall entwickeln und wie werden sie sich tatsächlich entwickeln? Befragt wurden 21 ausgewählte Branchenexperten und -expertinnen mit Rang und Namen, darunter Sandra Wolf (Riese & Müller-Geschäftsführerin), Bastian Dietz (Director Global Business Development bei SQlab), der Schindelhauer-Gründer Jörg Schindelhauer, Ward Grootjahns (Gründer Get Bike Service), die Velokonzept-Chefin Isabell Eberlein, Colin Pöstgens (bei Jobrad in der politischen Kommunikation tätig), Fabian Reuter (Mitgründer Fazua), Carsten Pietruck (Director Digital Solutions and Services bei Abus), Sven Erger (Mitgründer Rebike Mobility).

Diese Faktoren sieht die Branche als entscheidend an

Neun Faktoren wurden genannt, die entscheidend für die Zukunft der Branche sein sollen: 
  • Soziale Akzeptanz des Radfahrens
  • Zivilgesellschaftliche Impulse für die Stadtentwicklung
  • Höhe der staatlichen Förderung für Radinfrastruktur
  • Ausbau der Radinfrastruktur in Stadt und Umland
  • Wettbewerb um Fachkräfte
  • Verlagerung von Produktionsstandorten
  • Betriebliche Mobilität
  • User Experience
  • Weiterentwicklung des Kerngeschäfts und Erschließung neuer Nutzergruppen
Für jeden Aspekt nannten die Befragten zwei Dinge: ein Idealbild und die tatsächlich von ihnen erwartete Entwicklung. Das zentrale Ergebnis: Die Experten und Expertinnen glauben nicht an die Umsetzung der Ideale. Sie halten es für unrealistisch, dass die Fahrradindustrie in den nächsten 20 Jahren eine entscheidende Rolle bei der Verkehrswende spielt.
  • Beispiel User Experience: Die Fahrradindustrie sollte digitale und analoge Kundenerfahrung bei Produkten und Dienstleistungen ins Zentrum ihrer Mühen setzen. Tatsächlich erwarten aber die meisten Befragten kleinteilige und desintegrierte Innovationen, also keine konsistente User Experience.
  • Beispiel Weiterentwicklung Kerngeschäft: Die Fahrradindustrie sollte ihr Selbstverständnis als Mobilitätsdienstleister entwickeln und neue Kundschaft gewinnen. Tatsächlich erwarten die meisten aber, dass die Industrie ihre Nutzergruppen zwar konstant erweitert, dies aber nur über das klassische Portfolio umsetzt. 
  • Beispiel Fachkräfte: Die Fahrradindustrie sollte sich mit attraktiven Bedingungen und steigenden Löhnen durchsetzen. Tatsächlich erwarten die Befragten, dass die Industrie lediglich mit „sinnstiftender Arbeit und guten Arbeitsbedingungen“ punktet.

Fahrradbranche glaubt nicht an ihre Vision

Kucz, Autor der Studie, folgert, dass die Fahrradbranche nicht an eine radzentrierte Verkehrswende oder die dafür nötige Infrastruktur glaubt. Kucz warnt: „Eine Industrie, die nicht an eine wünschbare Vision glaubt, wird es schwer haben, sich zu behaupten.“ In anderen Industrien wie Automobil oder Luftfahrt, so Kuczs Erfahrung, glauben die Akteure und Akteurinnen dagegen an die von ihnen skizzierten Idealvorstellungen wie selbstfahrende Autos oder emissionsfreies Fliegen. Das Selbstbewusstsein und der Glaube an die eigenen Visionen seien dort deutlich stärker ausgeprägt als in der Fahrradbranche. Die vollständige Studie findet sich hier.
Kucz promovierte bei Volkswagen in der Konzernforschung in der Zukunftsforschung. Später arbeitete er sechs Jahre in der Konzernstrategie der Deutschen Bahn.


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