300 km von Sierra Leone nach Liberia 30.10.2017, 16:48 Uhr

Hilfsorganisation veranstaltet Radtour in Afrika

Die West Africa Cycle Challenge führt 300 km durch Afrika. Veranstalter ist die Hilfsorganisation Street Child. Ein Teilnehmer berichtet von der streckenweise geführten Tour.
Diese Teilnehmer fuhren 300 km durch Afrika.
Mit der teilweise geführten Radtour will Street Child sowohl Aufmerksamkeit und Spendengelder generieren. Die Organisation ist als gemeinnütziger Verein auch in Deutschland vertreten und will die Schulbildung von Kindern verbessern. Während der WACC fährt eine Gruppe abenteuerlustiger Radfahrer zusammen 300km von Bo in Sierra Leone bis hin zu einem der schönsten Strände in Liberia. Dabei besuchen die Teilnehmer die Projekte von Street Child, für die vorher durch eigene Aktionen Spenden gesammelt wurden.
Im Januar 2018 will Street Child die West Africa Cycle Challenge (WACC) zum zweiten Mal austragen. Den folgenden Bericht über die WACC 2017 hat der Teilnehmer Tom Owen auf Englisch verfasst:
Die West Africa Cycle Challenge – ein Erfahrungsbericht
Für routinierte Radfahrer klingt das Zurücklegen von 300 km mit dem Fahrrad in vier Tagen nach einer leichten Übung. Aber wenn die örtlichen Trainingsrouten durch unbefestigte Straßen in zwei von Afrikas ärmsten Ländern ersetzt werden, sieht die Aufgabe schon gleich viel schwerer aus. Wenn dazu noch Temperaturen von bis zu 35°C sowie regelmäßige Ausfälle bei den Begleitautos hinzukommen und das zuverlässige Mountainbike durch ein eigenwilliges Hybrid-Fahrrad mit ausgeleierter Kette ersetzt wird, bekommt das Ganze schnell einen ganz anderen Charakter.
Das Bild was du jetzt im Kopf hast entspricht wahrscheinlich in etwa dem, was uns von Ende Mai bis Anfang Juni 2017 bei der West Africa Cycle Challenge (WACC) erwartet hat: eine lebhafte, chaotische, anstrengende und extrem lohnende Radtour von Bo in Sierra Leone nach Robertsport in Liberia. Organisiert wird die WACC von Street Child, einer in Großbritannien ansässigen Organisation mit Ablegern in vielen Ländern Europas (unter anderem in Deutschland) sowie in den USA, die sich darauf spezialisiert hat einigen der ärmsten und hilfsbedürftigsten Kinder der Welt durch Bildung den Weg in eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Tag 1 – Ankunft in Sierra Leone und erste positive Überraschungen
Nachdem wir in Freetown gelandet sind, fahren wir auf asphaltierten Straßen Richtung Bo. Das scheint schon einmal ein vielversprechender Anfang zu sein. Wir erreichen die Stadt gegen 14 Uhr und werden etwa eine Stunde später von einem der heftigsten tropischen Regenstürme überrascht, die ich jemals erlebt habe. In einer Bar suchen wir Schutz vor den Wassermassen und beobachten einen anscheinend nie abreißenden Strom an Sierra-Leonischen Männern die sich um den Billardtisch versammeln. Wir essen Eintopf aus Maniokblättern und nachdem ich dieses Gericht während der kommenden Tage noch öfter zu essen bekommen sollte, ist es glaube ich angebracht zu sagen, dass dies nicht zu meinen Lieblingsspeisen gehört.
Schließlich erhalten wir unsere Fahrräder, die uns die nächsten 300 km treu begleiten werden und zu unserer aller Überraschungen in ziemlich guter Verfassung sind. Street Child hat für die WACC mit dem ortsansässigen Fahrradmechaniker Karim Kamara zusammengearbeitet. Karim ist neben seinem Job als Fahrradmechaniker auch der Manager einer Hilfsorganisation namens Village Bicycle Project, die teilweise bis zu 600 Fahrräder in Containern von den USA nach Sierra Leone verschiffen, damit Karim sie dort im Land verteilen kann.
Nach dem Abendessen nehmen wir an einem, wahrscheinlich beabsichtigt, erschütterndem Sicherheitstraining von unserem begleitenden Arzt teil. Wir alle versprechen bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Desinfektionsmittel rauszuholen und ordentlich viel davon zu benutzen.
Tag 2 – Überwältigende Begegnungen
Am nächsten Morgen geht die Challenge los und wir werden auf unserem Weg durch den noch (relativ) kühlen Morgen aus der Stadt von einem enthusiastischen Polizisten auf einem Motorrad begleitet, der seiner überschwänglichen Freude durch das Benutzen der Hupe lautstark Ausdruck verleiht.
Schon nach kurzer Zeit befinden wir uns in ländlichen Gebieten und als wir uns Potoru nähern, wird die asphaltierte Straße durch den berühmten roten Schlamm Afrikas ersetzt. In jedem Dorf, dass wir auf unserem Weg durchqueren, rennen die Kinder aus den Häusern und rufen „poomuin”, was übersetzt „weiße Person” bedeutet. Das ist zunächst ganz witzig, wird dann etwas nervig und schließlich doch wieder witzig. Für die meisten Menschen, die uns auf unserer Tour begegnen, stellen wir eben doch eine neue Erscheinung dar.
Als wir schließlich in Potoru ankommen, erwartet uns ein unglaublicher Empfang. Die Kinder rennen aus ihren Häusern und begleiten uns bis ins Zentrum der Stadt, wo sich bereits hunderte Schulkinder versammelt haben. Gemeinsam singen sie für uns und führen dabei traditionelle Tänze auf. Das mitzuerleben war unglaublich emotional, beinahe schon überwältigend! Langsam fangen wir wirklich an zu begreifen, dass dies hier nicht einfach nur irgendeine normale Fahrradtour ist. Die Menschen in Potoru profitieren direkt von der Arbeit von Street Child und sind begeistert uns als Gäste zu haben. Auch auf unserer weiteren Reise werden wir, überall wo wir hinkommen, von lauten „Street-Child”-Rufen begrüßt. Durch die umfassende Arbeit und die weitreichende Hilfe des Vereins, ist der Name in vielen Teilen des Landes bekannt und wir werden stets mit offenen Armen empfangen.
Tag 3 – Elf Stunden auf der Straße
Der zweite Tag der Challenge ist für uns der längste. Um 95 km zurückzulegen sind wir fast 11 Stunden unterwegs, wobei der größte Teil der Beeinträchtigungen den Begleitautos geschuldet ist. Autos in Afrika haben ein hartes Dasein und erleiden manchmal, ähnlich wie ihre Be- sitzer, einen Zusammenbruch.
Die Hitze zum Mittag ist drückend und kaum auszuhalten, sodass der Regen um 15 Uhr eine wohltuende Erlösung für uns darstellt. Als wir endlich um 19 Uhr in Sulima ankommen, werden wir mit Reis und herzhaftem Erdnuss-Eintopf empfangen, der den Großteil unserer Bedürf- nisse befriedigt. Im Dunkeln lassen wir uns schließlich noch dazu hinreißen mit den Kindern Frisbee zu spielen - ein Unterfangen das genauso gefährlich ist wie man es sich vorstellt.
Tag 4 – Anstrengende Bürokratie
Den dritten Tag auf der Straße verbringen wir größtenteils mit der Überquerung der Grenze. Der Prozess ist bürokratisch, langwierig und beinhaltet viel herumsitzen und warten. Für die Menschen aus der Umgebung stellen wir, als 12-köpfige erschöpfte Gruppe in voller Fahrrad- montur, anscheinend das Ereignis des Tages dar, sodass wir während wir auf die nötigen Unterlagen warten von unzähligen Augen begutachtet werden. Nachdem wir dann endlich die Grenze nach Liberia überqueren dürfen, fahren wir den Rest des Tages auf asphaltierten Straßen, was nach dem zurückliegenden Tag auf den von Kratern übersäten Wegen eine willkommene Abwechslung darstellt. Die Nacht verbringen wir in Sinje, der kosmopolitischsten aller Städte auf unserer Reise, wo wir abends in einer Bar die Aufzeichnung eines Champion League Halbfinales verfolgen, während ein DJ im Nebenraum laute und doch sehr gewöhnungsbedürftige Musik spielt.
Tag 5 – Strand in Sicht
Der letzte Tag der Challenge ist für mich der anstrengendste von allen. Die Straße ist lang, flach und voller Steine und Krater, so dass der Lenker unter den bereits müden Händen unaufhörlich hin- und her ruckelt. Wir alle können nur noch an den versprochenen Strand denken. Doch anstatt Entspannung, Sand und Wellen erwarten uns Hügel - und davon gleich drei hintereinander. Nachdem wir diese Anstrengung bewältigt haben, legen wir noch ein Stück auf der zwar flachen, jedoch sehr holprigen Straße zurück und kommen endlich in Robertsport an.
Einst eine eindrucksvolle Stadt am Meer, sieht man die Folgen des Bürgerkriegs an vielen Ecken: Überall auf unserem Weg passieren wir leerstehende Villen.
Zum Ende hin folgen wir einem Motorrad, welches uns den Weg zu unserem Ziel zeigt. Vor uns liegt ein letzter riesiger Berg und die Straße bekommt plötzlich eine 10-prozentige Steigung. Das habe ich jetzt wirklich nicht gebraucht. Ich fahre in Schlangenlinien, um die Schmerzen des steilen Aufstiegs etwas abzuschwächen, aber es ist trotzdem unheimlich anstrengend. Wahrscheinlich ist der Berg im Nachhinein betrachtet nicht wirklich hoch aber in diesem Moment fühlte er sich an wie der Monte Zoncolan.
Und plötzlich sind wir oben angekommen und sehen den versprochenen und lang ersehnten Ort unserer erschöpften Fantasien. Nach einer kurzen Abfahrt befinden wir uns endlich an dem Strand von Robertsport mit seinen farbenprächtig bemalten Holzhütten und den tosen- den Wellen, wo die Jungfernfahrt der West Africa Cycle Challenge ihr Ende findet und wir es uns mehr als verdient haben die Beine hochzulegen und den Abschluss einer wunderschönen, spannenden und anstrengenden Tour zu genießen.




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