Koalitionsvertrag 29.11.2021, 16:04 Uhr

Changing Cities: Der Ampelkoalition ist Verkehrswende egal

Beifall von Scheuer, Jubel von der autofahrerfreundlichen Bild-Zeitung und Kritik von den Radfahrern: Der Koalitionsvertrag schlägt hohe Wellen. Deutlich äußert sich die Initiative Changing Cities.
Changing Cities wirft der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP Gleichgültigkeit gegenüber der Verkehrswende vor.
(Quelle: Shutterstock / Ralf Liebhold)
Ein Lob von der falschen Person kann man als Bestätigung eigener Kritik auffassen. So scheint es der Radverkehrsorganisation Changing Cities zu gehen, für die der scheidende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) offensichtlich eine Reizfigur darstellt. Dieser kommentierte den Verkehrsteil des Koalitionsvertrags: „Schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt.“ Für Changing Cities „entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie“, beim Koalitionsvertrag der Ampelkoalition leuchte es tiefrot für die Verkehrswende, unken die Berliner Radverkehrsexperten.
Sie loben auch, etwa dass der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP immerhin E-Autos fördere, ergänzt um den Willen, der Schiene ein größeres Budget einzuräumen als dem Straßenbau. „Alle anderen Vereinbarungen sind wenig ambitioniert“, kritisiert der Verein, dass eine Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor bis 2030 um die erforderlichen 48 Prozent so nicht gelinge. Das schade dem Klima und werde teuer: Die jetzige Bundesregierung habe bereits vor wenigen Wochen für 22 Millionen Euro sogenannte Emissionseinheiten eingekauft, um die Verpflichtungen zur Einhaltung der EU-Klimaziele für 2020 zu erfüllen.

SPD und FDP desinteressiert, Grüne wankelmütig 

„Die SPD war nie groß an der Verkehrswende interessiert, die FDP benutzt das Wort erst gar nicht, nur die Grünen sind in diesem Bereich ambitioniert. Oder besser gesagt: waren es. Ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor fehlt, ebenso ein höherer CO2-Preis und ein klares Bekenntnis zu einer klimafreundlichen Mobilität. Der Kompromiss der drei Parteien zeigt erschreckend deutlich die Angst vor Veränderung auf der Straße: Der Verkehr ist das heiße Eisen des Klimaschutzes, das sich niemand traut, anzufassen“, sagt Ragnhild Sørensen (gesprochen: Raunhild Sörensen) von Changing Cities.
Im Bereich Radverkehr will die Koalition lediglich den bestehenden Nationalen Radverkehrsplan „umsetzen und fortschreiben“. Positiv zu bewerten sei die Absicht, eine nationale Fußverkehrsstrategie zu erarbeiten sowie das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung anzupassen, sodass „neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“. Da die Formulierungen allerdings nicht quantifizierbar sind, wird vieles von der persönlichen Vorliebe des kommenden Verkehrsministers Volker Wissing (FDP) abhängen, ahnt Changing Cities.
Bei einem Fraktionencheck, den der Bundesrad, das Bündnis der Radentscheide, Anfang 2021 durchführte, erklärte die FDP-Fraktion: „Aus unserer Sicht wird der Umweltverbund [Fuß-, Rad- und öffentlicher Verkehr] gegenüber dem individuellen Verkehr bereits heute bevorzugt behandelt.“ Verkehrswende mit der FDP heißt also „Weiter so“, befürchtet Changing Cities und zitiert abschließend eine Überschrift aus der Bild-Zeitung, welche traditionell als autofreundlich gilt, nach deren Gespräch mit Wissing: „Bald-Verkehrsminister Wissing will Autofahrer entlasten“. Radfahrer könnten das glatt wieder als Lob aus der falschen Richtung betrachten.


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