Mobilität und Bildung
10.01.2022, 11:21 Uhr
Das Fahrrad wird zum Statussymbol
Studien an der Universität Köln belegen, dass Menschen mit höherem Bildungsabschluss mehr Fahrrad fahren. Unterschiede zeigen sich auch zwischen Stadt und Land.
Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner in Deutschland mit Abitur fuhren demnach 2018 mit 70 Minuten pro Woche durchschnittlich doppelt so viel Fahrrad wie noch 1996. In ländlichen Gegenden ohne Abitur hat sich in diesem Zeitraum jedoch kaum etwas verändert. Der deutlichste Gegensatz: Stadtbewohner mit Abitur fahren heute dreimal so lange Fahrrad wie Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Wohnräume ohne Abitur.
Der Soziologe Dr. Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) der Universität Köln hat zwei Studien zum Zusammenhang von Fahrradmobilität und Bildungsniveau erstellt und dafür mehr als 800.000 Wege ausgewertet, die mehr als 55.000 Befragte zurückgelegt haben. Die Daten stammen aus dem deutschen Mobilitätspanel (MOP) und dem Sozioökonomischen Panel (SOEP) für die Jahre 1996 bis 2018 sowie aus der BMVI-Studie „Mobilität in Deutschland 2017“.
Bildung führt zu mehr Fahrradnutzung
Einen großen Teil der zunehmenden Fahrradnutzung führt der Soziologe auf die Bildungsexpansion zurück. „Die Daten zeigen einen starken Zusammenhang zwischen Radmobilität und Bildungsniveau“, sagt Hudde. „Es gibt immer mehr Menschen mit höherer Bildung, und die fahren immer mehr Fahrrad. Beide Trends setzen sich aktuell ungebremst fort.“
In der Studie wurde weiterhin untersucht, warum Menschen mit höherer Bildung das Fahrrad häufiger nutzen als Menschen mit niedrigerer Bildung. Eine Teilerklärung dafür sei, dass Personen mit Hochschulabschluss etwas häufiger in fahrradfreundlichen Städten und Stadtvierteln wohnen. Die Auswertung der statistischen Daten mache aber deutlich, dass sich die Bildungsunterschiede auch innerhalb von Städten und Stadtvierteln zeigen: „Personen mit Hochschulabschluss nutzen in der Stadt das Fahrrad fast 50 Prozent häufiger als Personen ohne Hochschulabschluss, wobei Faktoren wie Alter, Geschlecht und Wohnort bei der Untersuchung konstant gehalten wurden. Die Ergebnisse deuten insgesamt klar darauf hin, dass es der Bildungsstand selbst ist, der zu mehr Radfahren führt“, so Ansgar Hudde.
Das Fahrrad als modernes und umweltfreundliches Statussymbol
Hudde ging auch der Frage nach, warum der Bildungsgrad die Wahl des Fortbewegungsmittels beeinflusst. Menschen würden das Verkehrsmittel auch danach wählen, was es symbolisiert und welche Botschaft man damit an Dritte sendet. Tendenziell könne ein teures Auto viel Reichtum und beruflichen Erfolg, aber wenig Gesundheits- oder Umweltbewusstsein ausdrücken. „Beim Fahrrad ist es genau umgekehrt. Personen mit höheren Bildungsabschlüssen laufen meist nicht Gefahr, dass sie als arm oder beruflich erfolglos wahrgenommen werden – selbst dann, wenn sie mit einem günstigen Rad unterwegs sind. Sie können mit dem Fahrrad vielmehr an Status gewinnen, wenn sie sich als modern, gesundheits- und umweltbewusst zeigen“, erläutert Hudde. „Dagegen könnten Personen mit weniger hohen Bildungsabschlüssen ein teures Auto eher als Statussymbol nutzen, um zu zeigen, dass sie es zu Wohlstand gebracht haben.“
Die Studie zeichne ein Bild mit gesellschaftspolitischer Relevanz, denn Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen verfügen häufiger über geringe finanzielle Ressourcen und haben im Durchschnitt einen schlechteren Gesundheitszustand. Das Fahrrad als kostengünstiges und gesundes Fortbewegungsmittel könnte solche Ungleichheiten mildern: „Wenn es der Politik gelingt, das Radfahren für alle attraktiv zu machen, bedeutet das: lebenswertere Orte, bessere Gesundheit, mehr Umweltschutz und weniger soziale Ungleichheit“, resümiert Hudde.