Radwege und Tempo 30 09.04.2024, 09:31 Uhr

Albert Herresthal: Nur grundlegendes Umdenken führt zur Verkehrssicherheit

Der Branchenveteran Albert Herresthal (Informationsdienst Fahrradwirtschaft) fordert einen Mentalitätswechsel im Straßenverkehr, um die Unfallzahlen zu senken.
Albert Herresthal
(Quelle: Informationsdienst Fahrradwirtschaft)
Jeden Tag sterben acht Menschen auf Deutschlands Straßen, weitere 1.000 pro Tag werden verletzt. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland mehr als 2,5 Millionen polizeilich erfasste Verkehrsunfälle (+ 4,5 Prozent). Bei rund 290.000 Unfällen gab es Tote oder Verletzte – ein Anstieg zum Vorjahr. Insgesamt starben bei Straßenverkehrsunfällen 2.817 Menschen, 52.465 wurden schwer und 311.196 leicht verletzt. Das sind insgesamt 29 Tote und 2.527 Verletzte mehr als im Vorjahr. 
Die mit Abstand meisten tödlich Verunglückten saßen in einem PKW (1.183). Die zweitgrößte Gruppe der tödlich Verunglückten waren Motorradfahrer und -fahrerinnen (493). Es kamen 444 Radfahrer und Radfahrerinnen ums Leben, 30 weniger als im Vorjahr, und 432 Fußgänger und Fußgängerinnen (erheblicher Anstieg um 64). 20 der Getöteten waren mit einem Elektrokleinstfahrzeug unterwegs, zum Beispiel E-Scooter. 
Bei den Verletzten liegen wiederum PKW-Insassen vorn (177.582 Verletzte), gefolgt von Radfahrenden (94.117) und Zufußgehenden (28.048). Für 67 Prozent der Unfälle sind PKW und LKW hauptverantwortlich. 
Fahrerinnen und Fahrer von PKWs waren für 62 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden hauptverantwortlich (siehe Destatis). Bei knapp 18 Prozent waren es Radfahrende, bei jeweils gut 5 Prozent LKW-Fahrende und Motorradfahrende. 2,8 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden wurden von Fußgängern und Fußgängerinnen hauptverursacht, 2,1 Prozent von Elektrokleinstfahrzeug-Nutzenden.
„Deshalb sollten wir in Deutschland eine gründliche Debatte beginnen über die Mentalität, die wir als Gesellschaft zum Thema Verkehr verinnerlicht haben“, so Herresthal.
Zur gesellschaftlichen Verkehrsmentalität, die das Ergebnis der Verkehrspolitik vieler Jahrzehnte ist, gehört eine Hierarchie der Wichtigkeiten. Herresthal kritisiert: „Mehrheitlich sind wir so geprägt, dass der Kfz-Verkehr wichtiger ist als beispielsweise der Fuß- und Radverkehr. Das spiegelt sich auch in der Platzverteilung wider: Die Breite von Fahrbahnen wird kaum hinterfragt, aber für den Rad- oder Fußverkehr ist letztlich nicht mehr genügend Platz vorhanden. Weiterhin ist es allgemeiner Glaube, dass es immer schnell gehen muss. Die ,Flüssigkeit des Verkehrs‘ steht hierzulande sogar als oberstes Ziel im gültigen Straßenverkehrsgesetz. Deutschland ist das einzige europäische Land ohne Tempolimit auf Autobahnen und um jede Geschwindigkeitsreduzierung innerorts oder auf Landstraßen gibt es erbitterte Auseinandersetzungen. Bei dieser Gemengelage wundert es nicht, dass ein zu schnelles Fahren, zum Beispiel 40 Stundenkilometer in Tempo-30 Zonen oder 60 Stundenkilometer auf innerörtlichen Straßen als normal gilt und kaum jemand deshalb ein schlechtes Gewissen hat.“

Infrastruktur fördert Verkehrssicherheit 

Er kennt auch mögliche Lösungen: Eine neue Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums von Baden-Württemberg zeigt nun, dass eine deutliche Reduktion schwerer Unfälle durch eine verbesserte Infrastruktur und angepasste Verkehrsregeln realisierbar ist. Die Studie gibt konkrete Hinweise, wie eine Reduktion der Verkehrstoten um 60 Prozent und der Verletzten um 40 Prozent bis 2030 erreicht werden kann. 

Praxis-Erfahrungen aus der Stadt Lyon nach zwei Jahren Tempo 30 

Was bringt Tempo-30 in den Städten? Inzwischen liegen hierzu diverse Auswertungen vor. Die neueste stammt aus der französischen Großstadt Lyon. Hier wurde vor zwei Jahren Tempo-30 auf 80 Prozent aller Straßen eingeführt. Das Ergebnis: 35 Prozent weniger polizeilich erfasste Unfälle und 39 Prozent weniger schwere Unfälle mit Personenschaden.


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