Wortakrobatik des Senats 05.08.2024, 09:22 Uhr

Berlin: Eine Radschnellverbindung wird gebaut, neun werden „priorisiert“

Die Radverkehrsorganisation Changing Cities hat den Berliner Senat in Erklärungsnöte gebracht: Hinter wohlklingenden Formulierungen versteckt sich offenbar die Absage zugesagter Radschnellverbindungen.
Changing Cities-Protest in Berlin
(Quelle: Changing Cities / Norbert Michalke)
„Von den derzeit in Planung befindlichen Großprojekten der Radschnellverbindungen (RSV) soll die RSV 3 (Kronprinzessinnenweg) hochpriorisiert“ werden, so die Senatsverwaltung. Changing Cities kommentiert: „Im Klartext: Die neun weiteren werden depriorisiert. Selten haben Changing Cities und die Berliner Senatsverwaltung die Lage so ähnlich eingeschätzt.“
Alle weiteren Planungen für Radschnellverbindungen werden nach Interpretation von Changing Cities vorerst eingestellt – ausgenommen ist die Ost-West-Route, deren Ostteil bis zur Fertigstellung des Planungsfeststellungsverfahrens finanziert werden soll. Danach werde sie voraussichtlich auch „priorisiert“. Petra Nelken, die Pressesprecherin der Senatsverwaltung, erklärt in Radio Eins, man wäre bei den neun weiteren Radschnellverbindungen einfach noch nicht zum Planfeststellungsverfahren gekommen. „Das stimmt, denn die zur Verfügung gestellten 50 Millionen Euro können diesen Planungsaufwand nicht finanzieren. Im Klartext heißt das Planungsstopp!“, bringt Changing Cities die Situation auf den Punkt.
„Wir haben einen Senat, der nicht versteht, dass jeder Mensch, der das Auto stehen lässt und aufs Fahrrad umsteigt, eine Bereicherung für den Kfz-Verkehr ist und für all jene, die wirklich auf das Auto angewiesen sind. Dasselbe gilt für den ÖPNV, der durch mehr Radfahrende entlastet wird. Die Berliner Radschnellverbindungen sind das Herzstück des Radnetzes und wurden genau mit dem Ziel konzipiert, die Autostraßen zu entlasten. Während die TVO, die A100 und der Schlangenbader Tunnel mehr Autoverkehr erzeugen, sorgen Radwege für mehr Platz für den Lieferverkehr, für Pflegedienste und Handwerker und Handwerkerinnen. Die barrierefreien Radschnellverbindungen stellen unter anderem eine entscheidende Klimaanpassung für die Stadt dar: Das Ziel ist Mobilität für alle. Für alle, die es vergessen haben: Die Radschnellverbindungen wurden gemeinsam mit den Berliner Wirtschaftsverbänden beschlossen. Und mit der SPD. Können das die Sozialdemokraten bitte der CDU erklären?”, fragt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Radschnellverbindungen sind umsetzbar

Changing Cities schlägt nun vor, die Straßen aller Radschnellverbindungen zügig zu sanieren und umzubauen. So erreicht Berlin effiziente Straßen für alle durch attraktive Radinfrastruktur. Die Argumentation: Jeden Tag werden Asphaltdecken in Berlin teuer saniert, der Straßenraum jedoch wird nicht verändert und auf die Zukunft ausgerichtet. Statt sich über eine zukünftige Stadt Gedanken zu machen, werden hier Millionen Euro für überholte, weil klimaschädliche Strukturen verbaut. Wenn man also die Straßensanierungen dort durchführt, wo die RSVs geplant sind und dann auch die Straßen gleich umbaut, dann sind die RSVs machbar. Davon profitiert sogar der Autoverkehr, weil dann weniger Autos unterwegs sind.

Was bedeutet „priorisieren“?

„Wir befinden uns im Jahr zwei des SPD-CDU-Senats: Letzten Sommer wurden Radwege ,priorisiert‘, was dazu führte, dass viele davon trotz Planung bis heute nicht gebaut wurden. Jetzt sind die Radschnellverbindungen dran. Auffällig ist, dass es bisher keinerlei ,Priorisierungen‘ beim Straßenbau gab: Wurde die TVO nochmal überprüft? Oder der Schlangenbader Tunnel? Die Mühlendammbrücke? In nahezu Orwellscher Bedeutungsumkehr bedeutet ,priorisieren‘ heute nicht mehr ,vorziehen‘ oder ,bevorzugen‘, sondern ausbremsen und stoppen. Was Berlin braucht, sind vernünftige, langfristige Lösungen, keine rhetorischen Purzelbäume“, sagt Sørensen und fragt: „Müssen wir jetzt wieder 13.000 Berlinerinnen und Berliner aus dem Urlaub holen und zur Großdemonstration einladen?“



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