Dekra-Verkehrssicherheitsreport 2024 12.12.2024, 23:46 Uhr

Hohes Gefährdungspotenzial durch Selbstinszenierungen im Straßenverkehr

Wie der Bericht herausarbeitet, sorgen Straßenrennen, Posen und Gaffen oft für kritische Situationen. Wobei soziale Medien oft negativen Einfluss auf Verhaltensweisen im Straßenverkehr haben. 
Es gibt unterschiedliche Rasertypen.
(Quelle: Shutterstock/Corepics VOF)
So genannte Raser-Delikte nehmen zu, gerade in Großstädten und Ballungszentren – und sie bedeuten ein zunehmendes Gefährdungspotenzial auf öffentlichen Straßen. Der Dekra-Verkehrssicherheitsreport 2024 unter dem Titel „Verkehrsräume für Menschen“ thematisiert diese Problematik ganz explizit.  
„Eine zusätzliche Dynamik erfahren solche Verhaltensweisen durch die sozialen Medien, die neue Wege der Selbstdarstellung eröffnen“, gibt Dekra-Verkehrspsychologe Dr. Thomas Wagner zu bedenken. Nach Ansicht des Experten sind Likes durch den Erfolg zum Beispiel bei der Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen oder die bewundernden Blicke von Passanten auf ein „cool“ gestyltes oder getuntes Fahrzeug während eines „Autoposings“ eine neue Währung für Anerkennung, Wertschätzung und den eigenen Stellenwert in einer sozialen Community.
Der Missbrauch des Fahrzeugs zu besonderen „Kick-Erlebnissen“ ist ein international seit vielen Jahren bekanntes Phänomen. So begann das Posen auf den Straßen zum Beispiel in den USA schon in den 1970er Jahren. Ältere Edellimousinen wurden tiefergelegt und mit Hydraulikeinrichtungen versehen, mit denen man das Fahrzeug zum Springen bringen konnte. Das meist sehr langsame Fahrt mit solchen Autos stellte einen Akt kultureller Identifikation dar. Die Betreffenden dokumentierten so ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe wie auch ihre soziale Stellung.

Unterschiedliche „Rasertypen“ 

„Im Gegensatz dazu geht es bei bewussten Geschwindigkeitsverstößen, einem Risikophänomen, das im Straßenverkehrsalltag immer häufiger zu beobachten ist, in erster Linie darum, sich einem Wettbewerb auszusetzen und das Leistungsmotiv im Straßenverkehr auszuleben“, sagt der Verkehrspsychologe. Der Drang insbesondere zur Selbstdarstellung komme dabei einem starken Profilierungsbedürfnis mit durchaus zwanghaften Zügen gleich.
Eine Dekra-Studie in Kooperation mit dem Lehrstuhl Verkehrspsychologie der TU Dresden und der Amtsanwaltschaft Berlin ging der Frage nach, welche Motivation hinter der Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen steht. Dabei konnten mit komplexen statistischen Methoden drei „Rasertypen“ identifiziert werden:  leistungsmotivierte, reaktive und dissoziale Raser. Leistungsmotivierte Raser sind bestrebt, sich im Wettbewerb gegen Konkurrenten durchzusetzen, wollen ihr fahrerisches Können beweisen oder die Grenzen des Fahrzeugs austesten. Im Vordergrund stehen das Schnellfahren und die Suche nach dem „ultimativen Kick“. Reaktive Raser sind oft Einzelraser. „Das extreme Schnellfahren ist eine Folge einer starken Reizexposition etwa aufgrund psychoaktiver Substanzen oder intensiver Gefühlszustände“, erläutert Thomas Wagner.
Dissoziale Raser wiederum sind – so das Ergebnis der Studie – verkehrs- und strafrechtlich erheblich vorbelastet, stehen regelmäßig im Konflikt mit Ermittlungsbehörden, führen Waffen im Fahrzeug mit sich und verhalten sich beleidigend oder bedrohlich gegenüber der Polizei. Diese Subgruppe tut sich schwer mit sozialer Anpassung innerhalb der Gesellschaft.  

Gefährliche Situationen durch „Gaffer“ 

Ein weiteres Risikophänomen vor allem bei schweren Verkehrsunfällen auf der Autobahn stellen, wie im Verkehrssicherheitsreport 2024 ausgeführt, „Gaffer“ dar, die die Durchfahrt der Einsatzkräfte erschweren oder unterbinden. Als „Gaffer“ werden abwertend Personen bezeichnet, die Unfallsituationen als Schaulustige betrachten, ohne unmittelbar Hilfe zu leisten. Dabei werden verletzte Menschen und verunglückte Fahrzeuge häufig fotografiert oder gefilmt, wodurch immer wieder Polizei, Rettungsdienst oder Feuerwehr behindert werden. Die meisten bemerken dabei nicht, dass sie durch dieses Verhalten nicht nur die Einsatzkräfte und andere Verkehrsteilnehmende behindern, sondern diese und auch sich selbst gefährden. 
„Auch wenn zu diesen Dynamiken bislang keine systematische Forschung existiert, so darf doch angenommen werden, dass ein stärkeres Bedürfnis nach sozialer Anerkennung die dominante Antriebskraft zu sein scheint, um in der Rolle als Gaffer tatsächlich mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten“, erklärt Dr. Wagner. Es gehe darum, sich mit dem ultimativen Unfallbild in den sozialen Netzwerken zum Helden für einen Tag hochstilisieren zu können und sich vom Alltagsgrau abzuheben. Durch die ständige Verfügbarkeit technischer Aufnahmegeräte werde jeder Beobachter zum potenziellen Berichterstatter.

Negativer Einfluss der sozialen Medien 

Kommunikationsmöglichkeiten insbesondere durch soziale Medien eröffnen dabei durch einfaches Versenden von Bildern oder Videosequenzen mit dem Smartphone neue Wege zur Bedürfnisbefriedigung etwa im Hinblick auf soziale Anerkennung. „Likes, aber auch Erfolge bei der Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen oder die bewundernden Blicke eines Passanten auf ein getuntes Fahrzeug sind Ausdruck positiver Wahrnehmung durch andere“, erläutert der Verkehrspsychologe. 
Wie diverse Studien zeigen, hat die Beliebtheit eines Fotos in Form vieler Likes einen signifikanten Einfluss auf die Art und Weise, wie das Foto wahrgenommen wird. Die Probanden mochten ein Foto umso eher, wenn dieses Foto mehr Likes von Gleichaltrigen erhalten hatte. Dieser Effekt war besonders stark ausgeprägt bei Fotos, die die Probanden selbst zur Verfügung gestellt hatten. Es konnte zudem gezeigt werden, dass das Betrachten von Fotos mit vielen im Vergleich zu wenigen Likes mit einer stärkeren Aktivität in Gehirnregionen verbunden ist, die mit Belohnungsverarbeitung, sozialer Anerkennung, Nachahmung und Aufmerksamkeit im Zusammenhang stehen     
Weitere Hintergründe zum Thema wie auch zu vielen weiteren Aspekten rund um „Verkehrsräume für Menschen“ finden sich hier.



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